von Gerhard Padderatz
Kalte Kinder: Sie kennen kein Mitgefühl. Sie entgleiten uns von Ingrid Eißele ist der Titel eines Buches, das im Jahr 2009 im Herder-Verlag erschien. Es geht um eine Studie unter Kindern und Jugendlichen an deutschen Schulen. Das erschreckende Ergebnis: Kinder werden immer erbarmungsloser und gefühlskälter. Sie zeigen immer weniger Mitgefühl – gegenüber Tieren und Menschen. Im Klappentext heißt es: „Coolsein ist in. In erschreckendem Maße ist Aggressivität bei den Kindern angekommen. Mädchen, die zuschlagen, Schüler, die zustechen. Aggressive Jugendliche sind die Gewalttäter von morgen.“
In einem Beitrag des Schweizer Radiosenders DRS 2 vor einigen Jahren war das Buch Kalte Kinder Gegenstand des Gesprächs, das die Moderatorin mit einem Kinder- und Jugendpsychiater aus Zürich führte. U. a. diskutierten die beiden das unter Jugendlichen heute so populäre Wort „cool“. Jeder Jugendliche möchte „cool“ sein. „Der ist cool“, heißt ja inzwischen so viel wie: „Der ist in Ordnung.“ Niemand möchte „un-cool“ sein, denn dann gehört man nicht dazu.
In unserer von Anglizismen geprägten Welt ist es inzwischen normal, dass wir englische Begriffe wie selbstverständlich auch als Teil der deutschen Sprache verwenden. Und wir akzeptieren auch, dass diese Begriffe im Laufe der Zeit einen Bedeutungswandel erfahren haben. Oft wissen wir gar nicht – oder denken zumindest nicht daran –, was diese Begriffe ursprünglich bedeuteten und wie sie entstanden.
Das Wort „cool“ heißt ja eigentlich nichts anderes als „kalt“. In der Jugendkultur der USA war und ist derjenige „cool“, der über den Dingen steht, dem der Stress seiner Umgebung nicht unter die Haut geht („Indianerherz kennt keinen Schmerz.“ „Ein Junge weint nicht.“) „Cool“ ist der, den das Leid anderer nicht berührt.
In der erwähnten Radiosendung fragte die Moderatorin den Psychiater gegen Ende des Gesprächs, was denn eigentlich das Gegenteil von „cool“ sei. „Ganz einfach“, antwortete dieser: „Das Gegenteil von ‚cool‘ ist ‚barmherzig‘.“
Was für ein erschreckender Gedanke: Ist die Unbarmherzigkeit zum Ideal, zum höchsten Wert – oder besser: Unwert –, der heutigen Jugendkultur geworden? Was für ein gewaltiger Wandel, denn das Wertesystem des christlichen Abendlandes gründet sich ja zu einem Großteil auf das Prinzip der christlichen Nächstenliebe oder Barmherzigkeit. Wir nehmen Flüchtlinge auf – zumindest mittelbar über den Staat und seine Sozialsysteme, die wir ideell und finanziell mit tragen –, helfen gebrechlichen Personen über die Straße und verschicken zu Weihnachten Hilfspakete in die Ukraine. Wollte man das Wirken Jesu Christi mit einem einzigen Begriff zusammenfassen, wäre dieser wohl „Barmherzigkeit“. D. h.: Die Jugend, die Zukunft unserer Gesellschaft, hat ein Wort in den Mittelpunkt – zumindest in den Mittelpunkt ihrer Sprachkultur – gestellt, der das Gegenteil von christlich ist. Ist es inzwischen „cool“, unbarmherzig zu sein?
Wenn man die Ergebnisse der Studie, die dem Buch Kalte Kinder zugrunde liegen, verallgemeinern kann und wenn sie einen Trend darstellen, müssen wir uns in der Tat Sorgen machen. Zum Glück finden wir zahlreiche Beispiele für das Gegenteil – noch. Besonders in der Advents- und Weihnachtszeit.
Aber kollidiert nicht gerade in der Weihnachtszeit unsere „coole“ „Geiz-ist-geil“-Mentalität mit den Grundwerten des Christentums? Wie konnte es dazu kommen? Kann es sein, dass wir es versäumt haben, das ach so süße Christkind erwachsen werden zu lassen? Seit 2.000 Jahren liegt der Sohn Gottes, unser Erlöser, als hilfloses Baby in der Krippe. Wenn die Tage kürzer werden, der erste Schnee fällt und die Weihnachtsbeleuchtung in den Fußgängerzonen wieder zu leuchten beginnt, wird die Krippe mit dem Christuskind wieder hervorgeholt. Aber spätestens, wenn der Hall der letzten Sylvesterböller verstummt und wir der süßlichen Weihnachtslieder überdrüssig sind, spielt das Christkind keine Rolle mehr – zumindest für viele von uns.
In der Weihnachtszeit denken rund zwei Milliarden Menschen an die Geburt Christi. Denken sie aber auch daran, dass dieses Christkind erwachsen wurde, dass es als Christus für unsere Sünden starb (oder ist es zu „un-cool“ über Sünde zu sprechen?). Jesus Christus starb, auf dass wir ewiges Leben haben können. Und noch eins: Er hat versprochen, wiederzukommen – diesmal allerdings nicht als hilfloses Kleinkind und auch nicht als hilflos leidender am Kreuz, sondern als Gott des Universums, als Erlöser der Gläubigen (wohlgemerkt nicht aller Menschen, denn Gott zwingt niemanden zu seinem Glück) und als Richter der Welt.
Wird er dann barmherzig sein oder „cool“? Für diejenigen, die an ihn glauben und sich auf ihn freuen, wird die Wiederkunft des barmherzigen Christus auf jeden Fall das Größte sein.
Gerhard Padderatz ist Autor und Sprecher
Comments